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Der gute Hirte

 

 

Manchen ist dieses Bild zu gefühlvoll oder zu naiv. Sie meinen, es sei ein Bild für Kinder. Auf mich wirkt dieses Bild wie die Einladung zu einer Therapie:

 

Schau wieder einmal in die Tiefen und Untiefen deines Lebens. Und ich entdecke in diesen Gestalten zunächst mich selbst: meine Freuden und Ängste, meine Wünsche und Fragen. In meinen Erinnerungen begegnen mir Menschen aus meiner Kindheit bis heute.

 

Ich erinnere mich an Verirrungen, Verwundungen, die ich lange nicht wahrhaben wollte. Und ich denke auch an Zeiten, wo ich vor Glück abhob wie die Schmetterlinge am linken Bildrand. Ich denke aber auch an Stunden, wo ich glaubte, ich sei »auf den Hund gekommen«, weil nichts mehr ging. Mir fallen Feste ein, Gemeinschaftserlebnisse. Wie gut wir es da hatten, dass wir einfach beieinander sein konnten. Ich spüre Sehnsucht und auch ein wenig Trauer:

 

So könnte doch eigentlich Kirche sein! So sollte sie sein. Aber noch geht das nicht. Es gibt spärliche Versuche von offener Kirche, Einladung zum Gebet. Aber was ist das gegen einen gemeinsamen Gottesdienst mit Musik und Gesang?

 

Mir begegnen meine ersten und meine späteren Freunde, die mit mir Leid, vor allem auch meine Freude teilten. Und es tauchen Bilder auf, die mein Leben bestimmten, sich wandelnde Bilder - von Christus, von Gott.

 

Diese biblische Bildgeschichte des Malers nimmt mich mit auf einen Weg. Bei näherem Zusehen eigentlich kein Weg, sondern ein Streifzug quer durch Wüstenzeiten und blühende Landschaften. Ich sehe Spuren eines Vorausgegangenen und bemerke erstaunt, weil ich ja im Bild die Bibel lese und schaue - dass einer mir immer schon nachgegangen ist, unbemerkt mitgegangen. Einer, der die Verlorenen sucht, die Verlierer, die einmal gewinnen wollten und irgendwo im Gestrüpp hängengeblieben sind. Er geht alle Wege mit. Ihm ist kein Weg zu weit, zu beschwerlich.

 

Ein Therapeut wie kein zweiter. Er geht mir nach, bis er mich findet, genauer gesagt: bis ich mich finde. Bis ich mich, trotz aller Schrammen und Ermüdungserscheinungen, endlich angenommen, geliebt und geborgen fühle. Getragen von Menschen, die ja zu mir sagen; getragen von einer Liebe, die weiß, was verlieren heißt, die selber zu den großen Verlierern gehörte, die einmal alles verloren und dabei alles gewonnen hat.

 

Christus kennt meinen Weg. Er kennt meine Geschichte. Er kennt mich bis auf den Grund, weil er mich liebt. Heute weiß ich: Er gibt sein Leben für mich.

 

Auge in Auge mit ihm brauche ich mich nicht zu schämen. Wo er ist, geht die Sonne auf, gehe ich unter in der Glut seiner Liebe. »Freut euch mit mir«, sagt er; denn ich habe einen Verlierer, der sich selbst verloren hatte, wiedergefunden. Teilt meine Freude! Denn ich, euer Gott, kann gar nicht anders, als mich freuen über euch, wenn ihr euch findet, euch finden lasst. Ich liebe euch doch. Und meine Freude über euch - kennt keine Grenzen.

 

Unsere Bildgeschichte in der Bibel beginnt mit dem Satz: »Es nahten sich ihm all die Zöllner und die Sünder. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten aber empörten sich darüber und sagten: Der da - er nimmt Sünder an und speist mit ihnen.« Ich bin froh, dass es ihn gibt, »den da!« Ohne ihn wäre ich noch immer bei den Verlierern. Mit ihm aber - habe ich alles gewonnen, ihn und mich selbst.

 

Bleiben Sie behütet, Ulf Below

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Björn Filsinger (Samstag, 02 Mai 2020 10:05)

    Eine sehr schöne und tiefgreifende Interpretation des Bildes. Einige Auszüge sprechen auch mich persönlich an und ich freue mich auch trotz aller Verluste und Entbehrungen vieles gewonnen zu haben.