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Das Gebet aller Gebete - eine Predigt

 

Es gibt ein Gebet, das vielleicht schon vor Deiner Geburt an Dein Ohr gedrungen ist. Mutter oder Vater haben dann beim Beten an Dich gedacht, weil das Herz von Eltern übergeht vor Freude, gemischt mit Sorge, ob auch alles gut gehen wird. Auf alle Fälle haben es Deine Eltern und Paten bei Deiner Taufe gesprochen.

 

Und dann? Erinnerst Du Dich daran, wann Du es selbst gelernt hast? Ich habe in den 70gern im Kindergottesdienst geschmettert „Vater unser, der du bist im Himmel, immer mit dem Refrain: „Geheiligt werde dein Name“. Du auch? Dann kam es in Deinem Konfirmandenunterricht vor – vielleicht sogar in einer Prüfung. Es wurde klar: Das Vater unser muss man können. Konntest Du etwas damit anfangen?

 

Wenn Du magst, nimm Dir jetzt für jede Bitte etwas Zeit und geh den Fragen dazu nach:

 

War Gott für Dich wie ein Vater?

 

Geheiligt werde Dein Name – heißt das für Dich: Fluchen verboten? Oder eher: Militär ablehnen?

 

Gab es schon Zeiten, in denen Du von Herzen herbeigesehnt hast, dass es mit dieser Welt zu Ende geht – damit auch endet, was Du nicht ertragen kannst? Dein Reich komme... ?

 

Dein Wille geschehe – das ist ein schwerer Satz, wenn etwas eintritt, dass Du auf keinen Fall ertragen willst. Wenn wir eigentlich für einen anderen beten, für sein Leben vielleicht, dann kann der Satz verzweifeln lassen.

 

Unser tägliches Brot – was hast Du da alles schon drunter verstanden? Die älteren von uns – haben wirklich Angst haben müssen, satt zu werden? Ein Dach über dem Kopf zu haben? Manche sorgen sich jetzt gerade um ihre Arbeitsstelle.

 

Vergib uns unsere Schuld – da sind Vergehen eingeflossen, für die wir uns schämen.

 

Auch wir vergeben denen, die an uns schuldig sind – das tut gut nach einem Streit. Und es kann ein Leben dauern, wirklich zu vergeben, wo die Seele tief verletzt wurde. Dann ist es eine Bitte, uns zu helfen auf dem Weg dahin.

 

Erinnerst Du Dich an Momente, wo es so verlockend war, das Falsche zu tun? Nur einmal kurz vom Weg abzukommen? Führe uns nicht in Versuchung!

 

Sondern erlöse uns von dem Bösen – das kann so ein inniger Wunsch sein, wenn wir unter Schmerzen leiden, in Gefahr sind oder Angst haben.

 

Denn dein ist das Reich – hast Du ein Bild vor Augen, wie Gottes Land aussieht? Und die Kraft – was verbindest Du damit? Und die Herrlichkeit in Ewigkeit – siehst Du darin etwas?

 

Dieses Gebet umfasst Himmel und Erde, Leben und Tod, Zeit und Ewigkeit.

 

In der Bergpredigt (Matthäusevangelium 6) sagt Jesus dazu: Wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.

 

 Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.

 

Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

 

Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

 

Plappert nicht wie die Heiden“, sagt Jesus. An anderer Stelle empfiehlt er uns, dass wir Gott unser Herz ausschütten wie guten Eltern. Die Psalmen sind doch Gebete und Paulus Briefe sind voll von Bitten für Menschen, die er liebt. Es widerspricht sich: Wir sollen nur das Vater unser sprechen und doch auch anderes.

 

Stimmt denn zumindest unser Text? In Italien sagen sie – es war falsch übersetzt: Anstelle von "non ci indurre in tentazione" ("und führe uns nicht in Versuchung") sagen sie seit diesem Jahr "non abbandonarci alla tentazione" ("überlass uns nicht der Versuchung"). Wäre das besser? Dass es eine teuflische Gegenmacht gibt, die uns Versuchung führt und Gott verlässt uns, wenn wir darinnen sind? Oder ist es stimmiger, dass Gott uns selbst in Versuchung führt? Meiner Meinung nach ist der Originaltext eindeutig – genauso, wie wir es immer schon sprechen. In jedem Fall beten wir einen Gott an, der uns einiges zumutet. Und lösbar ist diese Frage auch nicht.

 

Wir wissen nicht, ob nur Vater unser beten oder auch anderes, wir wissen nicht, welche genaue Übersetzung. Wir haben alle ganz verschiedene Vorstellungen von diesem unseren Vater oder unserer Mutter. Das Gebet aller Gebete füllt sich für jeden anders, je nach unseren Erfahrungen mit ihm. Und es wird sich mit dem, was wir erleben, immer weiter verändern.

 

Gott hat uns durch Jesus ein Gebet geschenkt, dass uns alle verbindet – so dass wir es zusammen beten als Geschwister im Glauben. Er hat es zugleich so gestaltet, dass es ganz unterschiedlich klingt, je nachdem, was wir brauchen. Gott gibt uns verschiedene Gedanken dazu ein, so wie Eltern ihren Kindern verschiedenes geben – weil jedes einen anderen Bedarf hat. Manchmal merken wir selbst gar nicht, was uns im tiefsten Grund des Herzens bewegt – und erst recht wissen wir dann nicht, was uns wirklich gut tut. Müssen wir auch nicht.

 

Was und wie genau wir beten sollen, oder worum wir bitten, das alles müssen wir nicht bis ins Letzte verstehen. Denn Jesus sagt: Euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Das finde ich, ist das größte Geschenk dieses Gebets: Euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.

 

So möge es sein! Amen!

 

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